Eine unvergessliche Woche Karelien „Wald, Wasser, Steine und ich“ – so umschreiben die Karelier gerne ihr Land. Und tatsächlich ist die Natur rund um Petrosavodsk überwältigend. Genauso überwältigend jedoch sind die Menschen in Tübingens Partnerstadt im Nordwesten Russlands. Das zumindest fanden acht Tübingerinnen und Tübinger, die Ende August mit der West-Ost-Gesellschaft die Hauptstadt Kareliens für eine Woche besuchten. Fast alle zum ersten Mal. Die Straße von St. Petersburg nach Petrosavodsk ist gut ausgebaut. Trotzdem ist die Fahrt durch endlose Wälder lang, ebenso wie die Dämmerung um diese Jahreszeit. Umso mehr überrascht die lebendige Großstadt Petrosavodsk ihre Besucher bei der Ankunft kurz vor Mitternacht mit hell beleuchteten und belebten Straßen. Die Aufnahme bei den Gastgebern und Gastfamilien ist herzlich und unkompliziert. Viele von ihnen waren bereits einmal in Tübingen und freuen sich darauf, Menschen aus Tübingen zu empfangen und zu beherbergen. Und aus den fremden Gästen werden schnell gute Bekannte und Freunde. Das liegt auch daran, dass die Gäste aus Tübingen in den folgenden Tagen von den Mitgliedern und Freunden der West-Ost-Gesellschaft in Petrosavodsk immer fürsorglich begleitet werden: Bei der morgendlichen Stadtführung zum Auftakt des Besuchs, beim festlichen Begrüßungsabend, bei den Ausflügen zur Volksgruppe der Wepsen und zur Insel Kischi und sogar in der urtümlichen Sauna am malerischen See, wo man erst mit Birkenreisig aufeinander einschlägt und dann gemeinsam schwimmt, isst, trinkt und sehr viel lacht. Petrosavodsk ist ebenso wie St. Petersburg eine Gründung Zar Peters der Großen. Allerdings nicht geprägt vom repräsentativen Prunk der alten Hauptstadt, sondern vom Bergbau und der Schwerindustrie, die sich in frühen 18. Jahrhundert am Onegasee ansiedelt. Dass die Stadt lange von der Industriearbeit geprägt war, merkt man auf Schritt und Tritt. Heute ist Petrosavodsk als Hauptstadt Kareliens auch ein wichtiges Verwaltungszentrum. Beim Empfang im Rathaus erfahren wir viel über die Aufgaben, die beim Aufbau einer modernen Infrastruktur noch zu bewältigen sind. Heute schon überdurchschnittlich sind die Leistungen im Bereich Kultur und Bildung, wie wir beim Besuch der Kunstschule für Kinder, des Puppentheaters „Kleines Land“, der Nationalbibliothek und des Landesmuseums für Karelische Kunst und Kultur eindrucksvoll erfahren. Und welche Schule in Tübingen leistet sich eine eigene Kunstsammlung, so wie das Derchavin-Lyzeum im Petrosavodsk? Hier werden Schülerinnen und Schüler im Umgang mit Malerei und Plastik zu großen Kunstkennern erzogen, wie sie uns bei der Führung durch die Sammlung eindrucksvoll beweisen. Und Deutsch lernen sie. „Mein Hobby ist Lesen … Schwimmen … Flöte spielen“ erklären uns die 13-jährigen Mädchen. Die Jungs dagegen kennen nur ein Hobby: „Computerspielen!“ Beim Abschiedsabend im Blockhaus mit Blick auf den Onegasee werden die Eindrücke der viel zu kurzen Woche in sehr persönlichen Gesprächen und Ansprachen ausgetauscht. Und dabei fließen auch Tränen, bei den Gastgebern ebenso wie bei den Gästen. Die große Spendenbereitschaft und die Hilfslieferungen aus Tübingen in der schwierigen Zeit nach dem Zerfall der Sowjetunion hat in Petrosavodsk niemand vergessen. Aix, Perugia, Ann Arbor, Moshi … alles sehr wichtige Städte dieser Welt! Aber in diesen nicht mehr ganz so einfachen Zeiten der deutsch-russischen Beziehungen besonders wichtig ist: Petrosavodsk. Reist nach Karelien! Ihr werdet es nicht bereuen! Lilia Künstle, die Vorsitzende der West-Ost-Gesellschaft Tübingen, und das Team des Büros in Petrosavodsk und sehr viele Freundinnen und Freunde aus der Partnerstadt werden euch umsorgen wie eigene Kinder. Und im Herzen Kareliens ist noch viel Platz für neue Freundschaften. Hendrik Hauß
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