Reise nach St. Petersburg und Petrosavodsk

Der Grund für unsere Reise nach Petersburg und Petrosavodsk lag eigentlich schon 124 Jahre zurück. Damals hatte Into K. Inha mit einer Großformatkamera auf Glasplatten seine beeindruckenden Fotos in Karelien gemacht. Und damit auf Lönnrots Spuren die Menschen in Weißmeerkarelien und die Landschaften der Kalevala dokumentiert. Über die erstmalige Ausstellung dieser Fotos im Karelischen Nationalmuseum hat Tatjana Berdasheva in ihrem separaten Bericht sehr schön geschrieben. Auf der Reise nach Petrosavodsk muß man immer durch Petersburg. Und dies kann man auch nutzen um diese wunderschöne Stadt und ihre Kunstschätze zu besichtigen.
Diesmal hatten wir (Lilia, Dagmar, Ilona, Mascha, sowie ich) etwas Besonderes vor: Wir wollten nach Kotlin, eine Insel 30 km vor Petersburg und nach Kronstadt, wie Petersburg 1703 von Peter I als Heimat der baltischen Flotte gegründet. Petersburg litt immer unter den verheerenden Hochwassern, da bei starkem Westwind die Wasser des Finnischen Meerbusens die Stadt unter Wasser setzten. Jahrhundertelang geplant und als nicht möglich verworfen konnte ein grandioser Hochwasserdamm 2011 fertiggestellt werden – und seither sind Hochwasser in Petersburg Geschichte! Über den Damm führt die A118 (KAD = Кольцевая Автомобильная Дорога), die vierspurige Ringautobahn um St. Petersburg.
Die riesige Schiffahrtsschleuse, die bei Hochwassergefahr geschlossen werden kann, unterfährt man in einem Tunnel.

Kronstadt

Kronstadt, die einzige Stadt auf Kotlin, war als Marinebasis militärisches Sperrgebiet und ist erst seit 1996 für die normale Besucher offen. Im Zentrum von Kronstadt liegt der Marinedom, dem St Nikolai geweiht. Dieser Dom ist eine der schönsten Kirchen, die wir jemals gesehen hatten. Man konnte auch über eine enge Treppe in die 26 Meter große Kuppel klettern und von oben den Blick in den 50 Meter tiefer liegenden Kirchenraum werfen. Einfach umwerfend! Die Sammlung von Kunstschätzen und Einzelheiten der russischen Marinetradition ist einzigartig. Darauf gingen wir auf die Suche nach dem Pegel von Kronstadt. Der Kronstadter Pegel war das Höhennull für die ehemalige DDR und ist noch immer der Höhenstandard für sämtliche Osteuropastaaten. Wir fanden das schmucke Pegelhaus an der Blauen Brücke am Obwodnykanal – nur war uns dies zunächst nicht bewußt. Erst nach Internetsuche wußten wir, daß wir am richtigen Ort waren.
Am nächsten Tag – nach Stadtbummel und Pflichtbesuch im Haus der Bücher fuhren wir mit der „Schwalbe“, dem Siemens Tageszug nach Petrosavodsk. Schneller als der Nachtzug. In Petrosavodsk trafen wir unsere lieben Freunde und konnten wieder ihre bereits sprichwörtliche Gastfreundschaft im mit hohen gemeinschaftlichen Arbeitseinsatz renovierten WOG Büro in Petrosavodsk (Klub der Freunde Tübingens) erfahren. Wir konnten am Onega spazieren gehen und erfreuten uns am für Oktober ungewöhnlich warmen und trockenem Wetter.
In der Oper besuchten wir das Ballet „Don Quixote“ und im Nationaltheater „Was ihr wollt“. Beide Aufführungen waren Weltklasse. Danach konnten wir noch die Schauspieler treffen, die sich noch sehr gut an „Romeo und Julia“ im LTT vor einigen Jahren erinnerten.

Ihnha

Der Hauptgrund unseres Besuchs war natürlich im Karelischen Nationalmuseum. Diese Ausstellung–über eineinhalb Jahre vorbereitet – war nur möglich gemacht durch viele Telefongespräche und E-Mails zwischen Deutschland, Finnland und Karelien. Nur die zielstrebige Zusammenarbeit der West-Ost-Gesellschaft Tübingen, der Deutsch-Finnischen Gesellschaft RT/TÜ, mehrerer finnischen Fotographen und Museen, sowie den Fachleuten im Karelischen Nationalmuseum machte es möglich. Tatjana Berdasheva hatte aus über 200 Bildern in Into K. Inhas Reisebeschreibungsbuch „Kalevalan laulumailta“ (bis jetzt nur auf finnisch verfügbar, Ende 2018 auch in russischer Übersetzung) die 33 aussagekräftigsten ausgewählt und passende Beschreibungen dazu geschrieben. Und Mikael Goldenberg, der Direktor des Museums hatte den Titel der Ausstellung gewählt „Karelien minus 124“. Dies zwang einige Interessenten zu einer kleinen Mathematikaufgabe. Die Ausstellung war bereits im Karelischen Fernsehen angekündigt http://tv-karelia.ru/inhan-valokuvaeepos-esitetaan-karjalan-asukkaille. Der Festsaal des Museums war am 17. Oktober bis zum letzten Platz voll und auch das Karelische Fernsehen http://tv-karelia.ru/fotoepos-inhan-valokuvien-nayttely-on-avattu und die finnischsprachige Zeitung Karjalan Sanomat waren dabei und berichteten. Und am Samstag durfte ich noch einen längeren Vortrag über Into K. Inha, seine Zeit, seine Bilder und den Bezug zu Kalevala, dem karelischen Nationalepos halten – auf Deutsch und übersetzt vom Deutschprofessorin der Universität Petrosavodsk. Danke Frau Natalia Tokko! Es gab noch eine angeregte Diskussion über Into K. Inha und seine Bilder mit den sehr interessierten und gut informierten Zuhörern. Diese Reise und diese Woche war ein wunderbarer Abschluß einer langen und teilweise schwierigen Vorbereitungszeit mit vielen Mitspielern. Aber das Ergebnis war gut. Und es wurde ein großes Ziel erreicht: die Bilder, die Into K. Inha 1894 in Karelien fotografierte, waren in 2018 in hochauflösender digitaler Form nach Karelien zurück gekehrt. Sie haben im Nationalmuseum ein Heim gefunden und können nun voll auch in Karelien für Forschungs- und Bildungszwecke verwendet werden.

Herbert Kratzer

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