Östliche Partnerschaften in den Zeiten der Krise – zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit mit dem postsowjetischen Raum
Am Freitag, den 14.04.2023 fand im Vortragssaal der Begegnungsstätte HIRSCH eine Veranstaltung der WOG Tübingen statt – ein Treffen mit Peter Franke, dem Vorsitzenden des Bundesverbandes der Deutschen West-Ost-Gesellschaften. Der Saal war voll, weil die Veranstaltung stieß nicht nur bei Mitgliedern der WOG Tübingen auf großes Interesse, sondern auch bei zahlreichen Gästen. Zu Beginn stellte die Vorsitzende der WOG Tübingen Lilia Künstle Peter Franke als Vorsitzenden des BDWO vor.
Peter Franke begann seine Ausführungen mit einem Blick auf die Struktur des BDWO: Der Bundesverband der deutschen West-Ost-Gesellschaften (BDWO) ist ein Zusammenschluss von Gesellschaften, Organisationen und Initiativen, die sich für den Ausbau der Zusammenarbeit mit Vertretern aus Russland und der ehemaligen Sowjetunion einsetzen.
Der Bundesverband der Deutschen West-Ost-Gesellschaften (BDWO) wurde 1996 in Berlin gegründet. Heute vereint es rund 80 Gemeinden und Organisationen von Kiel, Oldenburg und Schwerin im Norden bis München, Stuttgart und Freiburg im Süden; von Frankfurt an der Oder, Dresden und Chemnitz im Osten bis Köln, Essen und Bergisch Gladbach im Westen Deutschlands. Alle Mitglieder des Verbandes – Vereine, Partnerstädte und Freundschaftsgesellschaften – haben ein gemeinsames Ziel: die Förderung des gegenseitigen Verständnisses zwischen den Völkern durch den Ausbau der Zusammenarbeit mit den Menschen in Osteuropa.
Mit Blick auf die Entwicklung seit Ende Februar 2022 verwies Peter Franke darauf, dass der BDWO bereits am 1. März 2022 die Erklärung „Dem Frieden verpflichtet – Krieg ist keine Lösung!“ beschlossen hat. In dieser wird betont, dass die Anwendung militärischer Gewalt durch nichts gerechtfertigt werden kann“. Weiter heißt es darin: „Unsere Verbandsarbeit ist dem Frieden und der Völkerverständigung verpflichtet. Gerade jetzt geht es um Begegnungen, um den gleichberechtigten und fortwährenden Dialog, sowie das Akzeptieren anderer Sichtweisen. Daher sind Städtepartnerschaften, zivilgesellschaftliche Initiativen, Kultur-, Jugend-, Bildungs- und Sozialprojekte sowie medizinisch-humanitäre Hilfen zu bewahren und auszubauen. Es sind diese Brücken, die alle Seiten zur Aufrechterhaltung des Friedens und der Völkerfreundschaft verpflichten.“ In diesem Sinne hat der BDWO Briefe an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, an Bundeskanzler Olaf Scholz und an Außenministerin Annalena Baerbock gesandt.
Ein Antwortschreiben im Auftrag der Außenministern kam aus dem Auswärtigen Amt und darin wird betont: „Während Kontakte zu russischen Regierungsvertretern in den Regel ausgesetzt werden, bleibt es im Interesse der Bundesregierung, dass grenzübergreifendes zivilgesellschaftliches Engagement weiterhin möglich bleibt. Es ist im Interesse der Bundesregierung, Kontakte ohne Regierungsbeteiligung, insbesondere zur unabhängigen russischen Zivilgesellschaft, zu erhalten, um irreversible Beschädigungen an den mittel-und langfristigen Wünschenswerten und wichtigen Verbindungen zu vermeiden.“
Alle deutschen Städte haben ihre offiziellen Kontakte zu russischen Partnerstädten eingefroren. Doch im Sinne der o.g. Ausführung des Auswärtigen Amtes unterstützen Städte die Partnerschaftsaktivitäten der Freundschafts- und Partnerschaftsvereine. Denn, wie Peter Franke betonte, die Rolle der Zivilgesellschaft sei jetzt besonders wichtig, um die Kontakte zu langjährigen Partnern aufrechtzuerhalten und die Arbeit in Städtepartnerschaftsprojekten fortzusetzen, gerade auch mit Blick auf ein Ende des Krieges und die dann notwendige Versöhnungsarbeit. Peter Franke benannte einige Beispiele für zivilgesellschaftliche Projekte darunter die Bilanz- und Ergebniskonferenz des BDWO-Arbeitskreises „Inklusion und Teilhabe“ im Oktober 2022 in Machatschkala unter dem Titel „Menschenrecht Arbeit und geistige Behinderung“ in Zusammenarbeit mit den russischen NGOs „Gleiche Möglichkeiten“ (Pskow) und „Leben ohne Tränen“ (Machatschkala), das Deutsch-belarussische Treffen von Partnerschaftsvereine in Minsk im November 2022, das Projekt des Vereins zur Förderung der Städtepartnerschaft Köln – Wolgograd e.V. für die Unterstützung ehemaliger Zwangsarbeiter in Wolgograd, Projekte der Gesellschaft für Deutsch-Russische Begegnung Essen e.V. und viele andere.
Peter Franke erwähnte, dass die europäischen Sanktionen den Gesellschaften und Vereinen erschweren, verschiedene Projekte fortzuführen, und nannte Beispiele für Probleme bei der Überweisung von Geldern an Partner zur Durchführung von Projekten und für Visaprobleme.
Ausführlich wurde die Visaproblematik behandelt. Beim BDWO gibt es einen Arbeitskreis Visa, der sich mit Problemen rund um die Visaerteilung in Deutschland und im Russland beschäftigt. Russische Konsulate stellen Visa aus, aber da viele Grenzübergänge geschlossen sind, gibt es nur wenige Möglichkeiten, nach Russland zu reisen. Aktuell besteht die Möglichkeit über Drittländer, wie die Türkei, Georgien, Armenien, Aserbaidschan u.a. per Flugzeug einzureisen. Weitere Möglichkeiten sind die Einreise über Finnland per Bus oder über das Kaliningrader Gebiet. Viele Gesellschaften setzen ihre Arbeit online fort, was ebenfalls gute Ergebnisse bringt. Ganz anders ist die Situation, wenn Partner aus Russland nach Deutschland reisen wollen. Es gibt Beispiele, dass deutsche Konsulate Partnern aus den Partnerstädten mit verschiedensten Begründungen das Visum verweigert haben.
Peter Franke berichtete von der Hybridveranstaltung „Fragen und Herausforderungen bei der Gestaltung zivilgesellschaftlicher Beziehungen in Zentralasien“, die am 13. Dezember 2022 stattfand. Die Stiftung West-Östliche Begegnungen und der Bundesverband Deutscher West-Ost-Gesellschaften (BDWO) organisierten gemeinsam einen Runden Tisch zur aktuellen Situation der Zivilgesellschaft in Zentralasien. Mit Vertretern der Diplomatie, der Politik und in der Region aktiven zivilgesellschaftlichen Organisationen war es eine gute Gelegenheit sich über die Möglichkeiten der zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit auszutauschen und bot eine Möglichkeit für die bereits in der Region Aktiven sich besser vernetzen.
Im Anschluss an den Bericht fand eine lebhafte Diskussion statt, in der viele interessante Fragen gestellt wurden und das Interesse der Menschen an verschiedenen Themen in dieser schwierigen politischen Situation geweckt wurde. In der Diskussion wurde auch das Thema der Medien in Russland und in Deutschland kontrovers angesprochen. Es gab eine Frage zum langjährigen BDWO-Projekt zur Förderung der russischen Sprache und russischen Kultur „RussoMobil“. Oksana Kogan-Pech, Schatzmeisterin des BDWO und Projektleiterin des „RussoMobils“, sprach über die Aktivitäten des Projektes an deutschen und österreichischen Schulen im neuen Kontext, über die Möglichkeit, das „RussoMobil“ an Schulen einzuladen und stellte Pläne für die Zukunft vor.
Die Teilnehmer fragten, wo die Information zu BDWO-Projekten zu lesen ist. Der BDWO verfasst regelmäßig Rundbriefe (bdwo.de/index/rundbriefe.htm) zur aktuellen Lage und zu aktuellen Projekte der Mitgliedsvereine und der BDWO-Partnerorganisationen.
Information zu den Aktivitäten des BDWO erscheinen auch in der Zeitschrift WOSTOK.
Zum Schluss der Diskussion sagte Herr Franke, dass der BDWO und seine Mitgliedsvereine alles dafür tun wollen, um die zivilgesellschaftlichen Partner zu bewahren und nach neuen Wegen zu suchen.